BVerwG zum Führerscheintourismus – Überprüfung des Wohnsitzes bei ausländischer EU-Fahrerlaubnis

Nach Urteilen des Bundesverwaltungsgericht Leipzig (BVerwG) vom 25.02.2010 Az: 3 C.15.09 und 16.09 dürfen Deutsche Fahrerlaubnisbehörden Inhabern von im EU-Ausland erworbenen EU-Fahrerlaubnissen die Befugnis, von der Fahrerlaubnis innerhalb Deutschlands Gebrauch zu machen, untersagen, wenn … die Fahrerlaubnisbehörde über Ermittlungen bei den Behörden des Ausstellerlandes von dort unbestreitbare Informationen erhält, dass der Inhaber des ausländischen Führerscheins bei Erteilung der Erlaubnis seinen Wohnsitz gar nicht im Ausstellerstaat hatte.

Der Fall: Den Betroffenen war die Fahrerlaubnis in Deutschland entzogen worden. Vor einer etwaigen Neuerteilung hatten sie die Auflage erhalten, einen bestandenen MPU-Test nachzuweisen. Diese Auflage wurde nicht erfüllt. Statt dessen gingen Sie ins Ausland und erwarben dort EU-Führerscheine, in denen Polen als Wohnsitzland vermerkt ist. Als die hiesigen Behörden Kenntnis von der Nutzung der polnischen EU-Führerscheine erlangten, erhielten die Betroffenen die Auflage, die nach wie vor bestehehenden  Zweifel an ihrer Fahreignung durch MPU-Tests auszuräumen. Dieser Aufforderung kamen die Betroffenen nicht nach. Darauf wurde Ihnen von den Behörden untersagt, von ihren polnischen Führerscheinen in Deutschland Gebrauch zu machen. Hiergegen haben sie geklagt und in den beiden Vorinstanzen verloren. Die Vorinstanzen hatten das Verbot der Führerscheinnutzung damit begründet, Nachforschungen der Behörden in Deutschland hätten ergeben, dass sie tatsächlich im EU-Ausland einen Wohnsitz hatten und dass sie dort auch gar nicht gelebt hätten.

Die Entscheidung: Das BVerwG musste die Entscheidungen der Vorinstanzen vor dem Hintergrund der EuGH-Entscheidung Beschluss vom 9.7.2009 – Rs. C 445/08 – Fall Wiener – aufheben. In diesem Fall hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) festgestellt, die Beschränkung einer in einem anderen Mitgliedsland erworbenen EU-Fahrerlaubnis dürfe nicht darauf gestützt werden, dass sich aus den Angaben des Betroffenen im Aberkennungsverfahren ein Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis ergibt. Allerdings, so das BVerwG, habe der EuGH die Möglichkeit offen gelassen, dass die deutschen Behörden bzw. Gerichte sich unbestreitbare Informationen bei den Behörden des Ausstellerstaates beschaffen, die z.B. einen Verstoß gegen das Auslandswohnsitzerfordernis beweisen. In einem solchen Falle stehe EU-Recht der Beschränkung der ausländischen Fahrerlaubnis nicht mehr entgegen. Das BVerwG hat den Vorinstanzen nun mit auf den Weg gegeben, die Nachforschungen bei den polnischen Behörden rasch nachzuholen.

Anmerkung: Es bleibt abzuwarten, ob der sog. Führerscheintourismus damit sein Ende finden wird. Deutschen Behörden sind die aus ihrer Sicht zu niedrigen Hürden für den Erwerb der Fahrerlaubnis in anderen EU-Staaten gerade bei bereits alkoholauffällig gewordenen Kfz-Führern seit langem ein Dorn im Auge. Die sog. EU-Führerscheinrichtlinie zwingt sie allerdings dazu, im EU-Ausland nach den dortigen Vorschriften erworbene EU-Fahrerlaubnisse anzuerkennen. Sie dürfen die Inhaber der ausländischen Erlaubnis prinzipiell auch keiner erneuten Prüfung unterziehen. In einer ganzen Reihe von Entscheidungen hat der EuGH inzwischen Urteile und Verbote deutscher Gerichte aufgehoben, mit denen immer wieder versucht worden war, ausländische EU-Fahrerlaubnisse hier bereits auffällig gewordener Kfz-Führer für ungültig zu erklären oder zumindest in Deutschland unbrauchbar zu machen, bei denen Deutsche Behörden von einem Missbrauch des EU-Rechts, sog. Führerscheintourismus, ausgingen. Der EuGH hat in Kenntnis der Problemlage bislang meist der Verpflichtung zur gegenseitigen Anerkennung der Fahrerlaubnisse den Vorrang eingeräumt und die Deutschen Gerichte in die Schranken gewiesen. Der Anerkennungszwang soll entfallen, wenn es sich offensichtlich um einen Missbrauchsfall handelt. Um dem Erfordernis der europarechtlichen Pflicht zur wechselseitigen Respektierung von Behördenentscheidungen des jeweils anderen Staates zu genügen, muss der ausstellende Staat praktisch die deutschen Behörden beim Nachweis der Tatsachen für den offenkundigen Missbrauch unterstützen. In Zukunft wird es wohl eine ganze Reihe von grenzüberschreitenden Amtshilfeersuchen geben.

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