AG Iserlohn, Trunkenheitsfahrt mit 1,96 Promille BAK und dennoch kein Fahrerlaubnisentzug

Absolute Alkoholabstinenz nach der Tat, 6 Monate vorläufige Fahrerlaubnisentziehung sowie die Teilnahme an einer Suchtberatung und umfassende psychosoziale Betreuung nach der Trunkenheitsfahrt können Gründe sein, die einen Fahrerlaubnisentzug im Urteil ausschließen, AG Iserlohn, Urteil vom 23.06.2009, Az. 17 Cs 874 Js 1168/08 – 110/09.

Der Fall: Der Angeklagte war im Dezember 2008  nach einer Weihnachtsfeier mit einer Blutalkoholkonzentration (BAK) von 1,96 Promille am Steuer erwischt worden. Daraufhin wurde ihm sofort die Fahrerlaubnis bis zur Verhandlung, die 6 Monate später stattfand, vorläufig entzogen. Der nicht vorbestrafte Angeklagte ist selbständig und im Bereich Werbetechnik tätig. Nach der Tat lebte er seit Ende 2008 absolut alkoholabstinent. Seit Mitte Januar 2009 unterzog er sich einer psychosozialen Betreuung und einer Suchtberatung. Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten wegen einer fahrlässigen Trunkenheitsfahrt nach § 316 StGB zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen und einem Fahrverbot von 3 Monaten, das mit dem vorläufigen Fahrerlaubnisentzug als verbüßt gilt. Vom Fahrerlaubnisentzug und von einer Sperrfristfestsetzung wurde abgesehen.

Die Entscheidung: Ein Fahrerlaubnisentzug war nach Ansicht des Amtsgerichts nicht notwendig. Der Angeklagte habe mit seinem Nachtatverhalten gezeigt, dass er sich mit seinem Alkoholproblem auseinandersetzen und sich von der Tat distanzieren möchte. Er habe durch beigebrachte Bescheinigungen auch gezeigt, dass er inzwischen abstinent lebt. Außerdem habe er versichert, weiter in Behandlung bleiben zu wollen. Trotz der relativ hohen Alkoholisierung zur Tatzeit sei davon auszugehen, dass er sein verkehrsbezogenes Defizit mittlerweile überwunden hat. Damit sei jedenfalls jetzt zur Verhandlung keine Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen, § 69 StGB, mehr gegeben. Dennoch sei aus verkehrserzieherischen Gründen ein Fahrverbot zu verhängen gewesen, dass aber mit dem vorläufigen Fahrerlaubnisentzug von 6 Monaten als bereits verbüßt  gilt.

Anmerkung: Ein betrunkener „Hans im Glück“ dessen Anwalt/Anwältin überragende rhetorische Fähigkeiten gehabt haben muss. Das Urteil ist untypisch und deshalb bemerkenswert. Eine BAK von 1,96 Promille zur Tatzeit wird regelmäßig von Staatsanwaltschaft (StA) als Anzeichen bestehender Alkoholerkrankung / Alkoholabhängigkeit gewertet. Wer mit 1,96 Promille noch in der Lage ist, Auto zu fahren, muss alkoholgewöhnt sein und Alkohol regelmäßig in missbräuchlichen Mengen zu sich nehmen. In vielen Bundesländern haben die Staatsanwälte Weisung, ab einer BAK von 1,6 Promille aufwärts immer auf eine Verurteilung wegen Vorsatz, Fahrerlaubnisentzug und Sperrfrist nicht unter 1 Jahr zu plädieren. Die Gerichte folgen dem regelmäßig. § 69 StGB sieht bei Trunkenheitsfahrten im Normalfall auch den Fahrerlaubnisentzug mit Sperrfrist von min. 6 Monaten vor. Anträge der Verteidigung, dem Gericht nachzuweisen, dass der Angeklagte sich inzwischen geändert hat und nicht mehr ungeeignet zum Führen von Kfz ist, werden regelmäßig abgeschmettert (selbst wenn der Angeklagte sogar noch viel bessere Argumente als in diesem Fall hat). Aber auch wenn der Angeklagte hier im Strafverfahren um den Fahrerlaubnisentzug herumgekommen sein mag, wird die Fahrerlaubnisbehörde noch auf ihn zukommen (Grund: BAK von 1,6 Promille oder mehr), und er wird seine Fahreignung durch MPU-Gutachten (sog. Idiotentest) nachweisen müssen. Gelingt ihm dies nicht, oder verweigert er den Test, wird ihm die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis doch noch entziehen.

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